In nahezu jedem öffentlichen Diskurs über politischen Extremismus wird sie erneut aktiviert und geistert durch Twitter, Facebook und Co – die Hufeisentheorie (auch Hufeisen-Modell, Hufeisen-Theorem oder Hufeisen-Schema genannt). Selten wurde einem politikwissenschaftlich völlig haltlosen Modell so viel Aufmerksamkeit zu Teil. Die Popularität des Hufeisens führt zu einer Missinformation der Allgemeinheit, da es ein mindestens missverständliches Bild vom Verhältnis von “Extremismus” zur “Mitte” zeichnet und fälschlicher Weise eine Gleichsetzung von unterschiedlichen extremistischen Bestrebungen suggeriert. Doch was besagt die Hufeisentheorie konkret, was ist daran falsch und woher kommt sie überhaupt?
Die Idee der Hufeisentheorie ist schon recht alt und wurde bereits 1932 in einer Publikation der nationalsozialistischen Soziologie verwendet. Dort wurde das Modell dazu genutzt gegen den sogenannten Kulturbolschewismus zu argumentieren. Anschießend wurde die Theorie von einem Vordenker der Neuen Rechten, Armin Mohler, ausgegraben, bevor es die konservativen Politikwissenschaftler und Extremismusforscher Uwe Backes und Eckhard Jesse in den breiten Diskurs getragen haben. Würde man dem Bild des Hufeisens folgen, ist es also langsam vom äußeren Ende des Hufeisens Stück für Stück in Richtung Mitte transportiert worden, ohne dass dessen Wurzeln weiter hinterfragt wurden.
Wieso hat sich die Theorie trotz dessen brauner Herkunft so lange im Diskurs gehalten? – Weil sie so einfach ist. Das allgemeine Problem mit zu simplen Theorien ist jedoch häufig, dass sie kaum noch in der Lage sind komplexe Realitäten wiederzugeben. Auch daher bezeichnet die Politikwissenschaftlerin und Expertin für Rechtsextremismus, Natascha Strobl, das Hufeisen als “eine der denkfaulsten Konstruktionen der Politikwissenschaft” und Martin Sonneborn (MdEP) nennt es “das erbärmlichste politische Analyseangebot des 21. Jahrhunderts”.
Was besagt die Hufeisentheorie?
In Kurzform: Es gibt eine “gemäßigte Mitte”, die sich von Links- und Rechtsextremismus abgrenzt. Die Extremismen sitzen dabei an den jeweiligen Enden des Hufeisens und weisen mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede auf (im Sinne des Hufeisens sind beide gleichweit von der “Mitte” entfernt und nähern sich an).
Zur politikwissenschaftlichen Einordnung: Die Hufeisentheorie ist ein Modell des normativen Diskurses der Extremismusforschung, in welchem eine verfassungsdemokratische “Mitte” in antithetischer Abgrenzung von “Extremismen” definiert wird. Was bedeutet das?
Laut Hufeisentheorie befinden die “gemäßigte Mitte” und die “Extremismen” (also Links- und Rechtsextremismus) ein Gegensatzpaar dar. Es wird argumentiert, dass man das politische Spektrum so in der Form eines Hufeisens darstellen könne. (Backes 1989: 251) Dabei befindet sich die “gemäßigte Mitte” in der Mitte des Hufeisens, während sich linker und rechter Extremismus abgrenzend dazu jeweils an den Enden des Hufeisens, die “einander entfernt und benachbart zugleich sind” (Backes 1989: 251), befinden. Die beiden “Extremismen” bilden eine gemeinsame Front gegen die “gemäßigte Mitte”. (Backes/Jesse 2005:36)
In dieser Deutung sind “Rechtsextremismus” und “Linksextremismus” als Teile des gleichen Phänomens zu verstehen, die sich lediglich in ihrer ideologischen Ausprägung unterscheiden würden. Auch wenn im “Rechtsextremismus” Menschenrechte verworfen werden, seien doch die Einstellungen und Handlungsweisen beider “Extremismen” so ähnlich, dass die politischen Unterschiede in den Hintergrund treten würden. (Backes/Jesse 2005:117)
Kritik
Die Kritik lässt sich nurda schwer in kurzer Form zusammenfassen. Unterschiedliche Autor*innen der Extremismusforschung setzen an verschiedenen Stellen an. Hier die Hauptkritikpunkte, warum die Hufeisentheorie eingeschmolzen gehört :
- Die Metapher des Hufeisens suggeriert, dass es eine gute und demokratische “Mitte” von “Extremismen” von außen oder den Rändern bedroht wird. Dadurch wird die Gefahr rechten Potentials aus der politischen “Mitte” heraus ausgeschlossen. Die “Mitte-Studien” konnten jedoch empirisch beweisen, dass rechte Einstellungen und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in der gesamten Gesellschaft und allen politischen Spektren zu finden sind (wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung). Das Hufeisen besagt also, dass rechte Potenziale nur am Rand der Gesellschaft existieren, dabei finden sich extrem rechte Einstellungen “in allen Teilgruppen der Gesellschaft und sind damit ein Problem deren Mitte und nicht an ihrem Rand.” (Decker et. al: 2008: 6-7)
- Abgesehen davon, dass es rechte Potenziale einer “Mitte” außer Acht lässt, zieht das Hufeisen zudem imaginäre Grenzen zwischen den “Extremismen” an den Rändern und einer “Mitte” ein, die es so nicht gibt.
- Das Hufeisen setzt “Rechtsextremismus” und “Linksextremismus” gleich. Dabei wird so getan, als würde es einen allgemeinen “Linksextremismus” geben (auch wenn die darunter verstandenen Gruppen ideologisch sehr unterschiedlich sind) und setzt diesen mit einem menschenfeindlichen und faschistischen “Rechtsextremismus” gleich. Dadurch wird die extreme Rechte mit ihrer menschenfeindlichen Ideologie und Gefahr für die Demokratie verharmlost. Zusätzlich wird überhaupt nicht klar, wie im Sinne des Modells jeweils “Linksextremismus” und “Rechtsextremismus” ideologisch definiert sind.
Das Hufeisen gehört eingeschmolzen, weil es empirisch widerlegt ist, ein falsches Verständnis des politischen Spektrums der Gesellschaft zeichnet und zu einer Unterschätzung rechter Potenziale sowie einer Verharmlosung des “Rechtsextremismus” führt.
Meyer, Katharina (2020): Linke und Rechte. Warum die Hufeisentheorie nicht zeitgemäß ist, online unter: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/hufeisentheorie-hufeisenschema-rechtsextremismus-afd-linke-thueringen-102.html.
Salzborn, Samuel (2020): Rechtsextremismus. Erscheinungsformen und Erklärungsansätze, 4., akt. u. erw. Aufl., Baden-Baden: Nomos. (Kapitel 12: Extremismus und Totalitarismus)