Begriffsverständnis

Wir wünschen uns, dass Debatten auf sinnvolle und konstruktive Weise stattfinden können. Dazu ist es wichtig, dass entweder eine gemeinsame Auffassung über die Bedeutung zentraler Begriffe existiert, oder die Unterschiede der jeweiligen Begriffsverständnisse offen kommuniziert werden.

Doch nicht nur in öffentlichen Debatten werden Begriffe uneinheitlich benutzt. Auch in Fachkreisen und wissenschaftlichen Auseinandersetzungen, herrscht häufig kein Konsens über genaue Definitionen.

Rechtsextremismus und rechte Gewalt stellen eine akute Gefahr für unsere Demokratie dar. Seit 1990 sind in Deutschland über 200 Menschen rechtsmotivierter Tötungsdelikte geworden. (Brausam 2020) Auch das Auffliegen mehrerer rechtextremer Netzwerke in den Sicherheitsbehörden, der Polizei und der Bundeswehr, zeigen, dass sich die Gesellschaft dringend vermehrt mit dem Phänomen Rechtsextremismus auseinandersetzen muss.

Rechtsextremismus, Rechtsradikalismus und Rechtspopulismus – Was sind die Unterschiede?

Weder können wir hier alle relevanten Begriffe (es fehlen beispielsweise „Rechtsterorrismus”, „Neofaschismus” und „Neonarzismus”) auflisten, noch können wir dem Anspruch auf Vollständigkeit der unterschiedlichen Definitionen auch nur nahe kommen. Herausgesucht wurde ein Mix aus Begriffsverständnissen staatlicher und zivilgesellschaftlicher Organisationen, sowie aus der Wissenschaft.

„Rechtsextremismus”, „Rechtsradikalismus” und „Rechtspopulismus” lassen sich nur schwer trennscharf voneinander unterscheiden, da die Übergänge fließend sind. Eine Klärung dieser Begriffe ist jedoch wichtig. Nur so lassen sich Parteien, Organisationen und Bewegungen einordnen und unterscheiden, ob und inwieweit sie sich noch im Rahmen der demokratischen Spielregeln befinden. (Birsl 2016: 253f.)

Rechtsextemismus

mehr zum Thema

Der zentrale Begriff im Diskurs ist der Rechtsextremismus.  Von diesem aus und in Abgrenzung zum selbigen werden häufig der Rechtspopulismus und Rechtsradikalismus unterschieden. Eine gerichtliche Definition existiert in Deutschland bisher nicht.

Wie wird Rechtsextremismus definiert? 

Rechtsextremisten sind Feinde des demokratischen Verfassungsstaates, sie haben ein autoritäres Staatsverständnis, das bis hin zur Forderung nach einem nach dem Führerprinzip aufgebauten Staatswesen ausgeprägt ist. […] Das rechtsextremistische Weltbild ist geprägt von einer Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit, aus der u.a. Fremdenfeindlichkeit resultiert. Dabei herrscht die Auffassung vor, die Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation oder „Rasse“ bestimme den Wert eines Menschen. […]Bundesverfassungsschutz
Rechtsextremismus bezeichnet eine politische Einstellung, die sich gegen die Ordnung des demokratischen Verfassungsstaates stellt und gesellschaftliche Vielfalt sowie freie Wirtschaftssysteme fundamental ablehnt. Charakteristisch für den Rechtsextremismus ist die Aufspaltung in Gruppen und Untergruppen, die i. d. R. auf persönlichen Gefolgschaften (Führer und Gefolge) beruhen. Rechtsextremismus basiert auf Intoleranz und Vorurteilen (z. B. gegen Ausländer und Minderheiten), fördert autoritäres Verhalten, verherrlicht Macht und Gewalt. […]Bundeszentrale für politische Bildung
Der Begriff Rechtsextremismus ist ein Oberbegriff für politische Einstellungen, die die Demokratie und die Gleichwertigkeit aller Menschen ablehnen. Wichtiger Bestandteil dieser Ideologie ist die Orientierung an einer ethnischen Zugehörigkeit. Rechtsextreme teilen die Idee einer „Volksgemeinschaft“, die rassistisch definiert ist. Die eigene Nation wird für höherwertig und überlegen gehalten (Chauvinismus); die repräsentative Demokratie wird abgelehnt. […]Amadeu Antonio Stiftung

Was sagt die Extremismusforschung?

Ein großer Teil der Forscher*innen kritisiert das staatliche Verständnis von Rechtsextremismus, da dieses rein verhaltens- und verfassungszentriert ist. (Grumke 2017: 24) Deswegen wird häufig die Operationalisierung von Richard Stöss aufgegriffen, der die Dimension des Verhaltens, um die der Einstellungen erweitert hat.

Quelle: Eigene, inhaltlich angepasste Darstellung nach: Stöss 2000: 22, erweitert um Salzborn 2020: 20.

Was sind die Kernmerkmal des Rechtsextremismus?

Auch wenn die unterschiedlichen Definitionen nicht komplett deckungsgleich sind, so gibt es doch eine weitgehende Übereinstimmung bei den Merkmalen. Extrem rechte Weltbilder lassen sich demnach anhand folgender Überzeugungen erkennen:

  • Ideologie der Ungleichheit mit einer einhergehenden Ungleichwertigkeit von Menschen: Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit mit der Ablehnung des Anspruchs gleicher Rechte für alle
  • Autoritarismus und Unterordnung des Individuums
  • Akzeptanz von Gewalt als legitimes politisches Mittel

Automatisch einher geht damit eine fundamentale Ablehnung der Idee universeller Menschenrechte sowie demokratischer Grundwerte.

Welche Formen von Rechtsextremismus gibt es?

„Die Variationsbreite im Rechtsextremismus reicht […] von rassistischen Positionen, die auf einem biologischen Differenzmodell auffußen und […], über völkisch-homogenisierende Vorstellungen, […] bis hin zu den […] Vorstellungen eines primär auf kulturellen Differenzannahmen basierenden Ethnopluralismus.” (Salzborn 2020: 22f.) 

– das „biologische Differenzmodell” ist das was allgemeinhin unter Rassismus verstanden wird. Diese Vorstellungen werden von jenen vertreten, die in der klassischen Tradition des Nationalsozialismus stehen.

– „Völkisch-homogenisierende Vorstellungen” sind beispielsweise bei Vertreter*innen von Pegida vorzufinden.

– der „Ethnopluralismus” ist das Herzstück der Ideologie der Identitären Bewegung (IB).

Auch hier zeigt sich, dass „der Rechtsextremismus kein einheitliches, ideologisch abgeschlossenes Phänomen ist, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher Strömungen, ideologischer Ausrichtungen und Organisationsformen umfasst.” (Grumke 2017: 22) Zwischen und auch innerhalb dieser unterschiedlichen Strömungen lassen sich „häufig innere Defizite und Lücken, Ungereimtheiten und Widersprüche ausmachen.” (Pfahl-Traughber 2018: 303)

Rechtsradikalismus

mehr zum Thema

Was ist der Unterschied zwischen Rechtsradikalismus und Rechtsextremismus?

Folgt man der Argumentation des Verfassungsschutzes, dann unterscheidet sich Rechtsradikalismus von Rechtsextremismus darin, dass erster als verfassungskritisch und letzer als verfassungsfeindlich zu verstehen ist.

Ähnlich wird in der Politikwissenschaft unterschieden. Nur wird hier nicht die Verfassung (also in Deutschland das Grundgesetz) als Maßstab herangezogen, sondern die liberale Demokratie an sich. Während radikal rechte Parateien, Organisationen und Bewegungen sich zwar an der Grenze, aber noch innerhalb des Spektrum liberaler Demokratien bewegen, befinden sich extrem rechte Gruppierung außerhalb dieses Spektrums. (Birsl 2016: 255) So wird der Begriff des Rechtsradikalismus von Teilen der Wissenschaft und den Behörden eher als Analysekategorie genutzt, um zu differenzieren, ob sich bspw. eine bestimmte Partei noch innerhalb der demokratischen Grundordnung bewegt oder nicht.

Die Grenzen zwischen problematisch für die Demokratie oder antidemokratisch sind jedoch fließend. Eine trennscharfe Unterscheidung zwischen Rechtsextremismus und Rechtesradikalismus ist daher nur schwer möglich und liegt im Einzelfall auch am Demokratieverständnis oder der aktuellsten Fassung der Verfassung. Zudem kann dieses Begriffsverständnis den Blick auf die Gefahr verstellen, die der Rechtsradikalismus für eine liberale Demokratie hat. Auch bei der radikalen Rechten handelt es sich um eine Gegenbewegung zur Demokratie, die sich demokratischer Mittel und Institutionen bedienen kann, um diese letzlich auszuhöhlen.

Besonders von linker Seite wird der Begriff des Rechtsradikalismus abgelehnt. Nach ihrem Verständnis bedeutet radikal zu sein an die Wurzel gesellschaftlicher Probleme zu gehen. Da das rechte Spektrum aus linker Perspektive die Gesellschaftsordnung jedoch nicht abschaft, sondern Herrschafts- und Machtverhältnisse verschärft, wäre demnach die Zuschreibung „radikal” unzulässig. (Salzborn 2020: 16)

Rechtspopulismus

mehr zum Thema

Es herrscht keine Einigkeit darüber wie was unter Rechtspopulismus gefasst wird. Grundsätzlich gibt es hier zwei divergierende Vorstellungen. Von der einen Seite wird Rechtspopulismus als politische Strategieoption oder Politikstil im Rechtsextremismus verstanden und von der anderen Seite als eigenständige politische Strömung interpretiert. (Birsl 2016: 254ff.; Salzborn 2020: 17; Spier 2010: 19ff.)

Rechtspopulismus als politische Strategieoption:
Vertreter*innen dieser Überzeugung sehen den Rechtspopulismus als Politikstil mit (unterschiedlich stark ausgeprägter) rechtsextremistischen Kernideologie. Individuelle oder kollektive Akteure (wie bspw. Parteien), auf die eine solche Beschreibung zutrifft, könnte man daher auch genauer als populistisch agierende Rechtsextremisten beschreiben.

Merkmale eines so verstandenen populistisch agierenden Rechtsextremismus sind:

  • Appell an das „Volk”
  • Agitation gegen horizontale (bspw. „die da oben”) und vertikale (bspw. Muslim*innen oder Frauen) Feindbilder
  • charismatische Führerschaft (siehe Trumpismus)
  • Autoritarismus, Nationalismus und Ausländerfreindlichkeit (Grumke 2017: 28; Spier 2010: 109ff.)

In der bewusst zugespitzten Auseinandersetzung vermeiden populistisch agierende Rechtsextremisten meist explizit nazistisches oder faschistisches Vokabular (wobei dies zunehmend nicht mehr auf Parteien wie die FPÖ oder AfD zutrifft). (Salzborn 2020: 17f.) Unter ein solches Vokabular fallen bspw. Begriffe wie „Lügenpresse” oder „Volksverräter”, die bereits als Kampfbegriff im historischen Nationalsozialismus benutzt wurden, um Medienvertreter*innen und die liberale Demokratie anzugreifen. (ebd.: 18)

Richtet man den Blick konkret auf das Weltbild und somit die ideologische Substanz vom populistisch und nicht populistisch agierenden Rechtsextremismus, dann wird schnell klar, dass keine wesentliche Unterschiede zu erkennen sind.

Rechtspopulismus als eigenständige politische Strömung:
Decker (2015) versteht unter Rechtspopulismus eine eigne Variante rechter Parteien. Der Populismus innerhalb dieser Parteien würde als Schanier genutzt, um vermeintlich gegensätzliche wirtschaftsliberale und konservative Positionen miteinander zu verknüpfen. (Decker 2015: 113f.) Auch medial scheint häufig eine solche Auffassung von Rechtspopulismus vertreten zu werden.

Nach diesem Verständnis könnte der Rechtspopulismus so verstanden werden, dass er sich innerhalb der Grenzen liberal-demokratischer Vorstellungen bewegt. Somit wäre er im Unterschied zum Rechtsextremismus eher als un- als antidemokratisch zu bezeichnen. Hieran anschließend würde sich jedoch die Frage aufdrängen inwieweit der Rechtspopulismus sich in dieser Definition vom Rechtsradikalismus unterscheidet. In Anbetracht der recht dünnen ideologischen Beschreibung nach Decker „erscheint die Verwendung der Bezeichnung ‚radikal’ zur Markierung eines Problems im Übergang zur Gefährdung der liberalen Demokratie angemessener als die Verwendung von ‚populistisch’.” (Schneider/Pickel/Pickel 2020: 5)

Fazit:
Wir empfehlen den Rechtspopulismus als eigenständige politische Strategieoption des Rechtsextremismus und nicht als eigene politische Strömung zu verstehen, da so die aufgeführten Begriffe trennschärfer voneinander zu unterscheiden sind. Optimalerweise würde man hierbei die Formulierung des „populistisch agierenden Rechtsextremismus” verwenden, um den Blick auf das rechtsextremistische Weltbild (mit den einhergehenden Gefahren für verschiedene gesellschaftliche Gruppen und die liberale Demokratie) nicht zu versperren.

Literatur und spannende Artikel zum Thema Rechtsextremismus

Birsl, Ursula (2016): Rechtsextremismusforschung reloaded – neue Erkenntnisse, neue Forschungsfelder und alte Forschungsdesiderate, in: Neue Politische Literatur, H. 2, S. 251-267.

Decker, Frank (2015): Die Veränderung der Pareienlandschaft durch das Aufkommen der AfD – ein dauerhaftes Phänomen, in: Zick, Andreas/Küpper, Beate (Hrsg.): Wut, Verachtung, Abwertung. Rechtspopulismus in Deutschland, Bonn: Diet Nachf., S. 109-123.

Grumke, Thomas (2017): Rechtsextremismus in Deutschland Begriff – Ideologie – Struktur, in: Glaser, Stefan/Pfeiffer, Thomas (Hrsg.): Erlebniswelt Rechtsextremismus. modern – subversiv – hasserfüllt. Hintergünde und Methoden für die Praxis der Prävention, Frankfurt a.M.: Wochenschau Verlag, S. 21-40.

Pfahl-Traughber (2018): Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland, in: Jesse, Eckhard/Mannewitz, Tom (Hrsg.): Extremismusforschung. Handbuch für Wissenschaft und Praxis, Baden-Baden: Nomos, S. 303-338.

Quent, Matthias (2019): Deutschland rechts außen. Wie die Rechten nach der Macht greifen und wie wir sie stoppen können, München: Piper.

Salzborn, Samuel (2020): Rechtsextremismus. Erscheinungsformen und Erklärungsansätze, 4., akt. u. erw. Aufl., Baden-Baden: Nomos.

Stöss, Richard (2000): Rechtsextremismus im vereinten Deutschland, 3., überarb. Aufl., Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung.

Spier, Tim (2010): Modernisierungsverlierer? Die Wählerschaft rechtspopulistischer Parteien in Westeuropa. Sind rechtspopulistische Wähler Opfer der Modernisierung?, Wiesbaden: Springer VS.