#3 Incels – Warum die radikale Frauenhasser-Community so gefährlich ist



“The Incel Rebellion has already begun! We will overthrow all the Chads and Stacys! All hail the Supreme Gentleman Elliot Rodger!” Dies schrieb Alek Minassian, der Amokfahrer von Toronto, auf Facebook, bevor er im April 2018 zehn Menschen umbrachte und 16 weitere verletzte. Elliot Rodger ist eine Heldenfigur der Incels aus den USA, der während eines Anschlags im Mai 2014 sechs Menschen ermordete. Er erklärte vor seiner Tat, dass er sich in einem “Krieg gegen Frauen” befinden würde, da diese keinen Sex mit ihm haben wollen würden. “Chads” und “Stacys” sind im Weltbild der Incels attraktive Männer und Frauen, “Incel” ist eine Zusammensetzung aus den Wörtern “involuntary” und “celibate”. Incels sind demnach “unfreiwillig zölibatär Lebende”. Doch was sind Incels genau, welcher Ideologie folgen sie und was macht sie so gefährlich?

Incels sind eine große internationale rechte Community. Sie vernetzen sich auf Imageboards und in Foren wie incels.co, 4chan, Kohlchan, 8kun, Kiwifarms, aber auch in Burschenschaften und bestärken sich dort in ihren misogynen (krankhaft frauenfeindlichen) Ansichten. In der “Manosphere” (die Online- und Offline-Welt der Incels), radikalisieren sie sich bis zur Ausübung von physischen Gewalttaten oder Anschlägen. Auch der Attentäter von Halle fühlte sich dieser Community zugehörig, begründete seine Tat u.a. mit seinem Hass auf den Feminismus und hörte in seinem Livestream auf der Fahrt zum Anschlag eine Lobeshymne auf Alek Minassian, den Amokfahrer von Toronto. Auch wenn die Tat von Halle ganz klar als antisemitisch zu beschreiben ist, schließt dies nicht aus, dass eine Radikalisierung innerhalb der Incel-Community stattgefunden hat.

Blaue, rote und schwarze Pillen und das Weltbild der Incels:

Incels glauben an eine maskulinistische Verschwörungsideologie. Innerhalb dieser gibt es ständig neu gesponnene Verschwörungserzählungen, die sich darum drehen, dass der heterosexuelle und cisgeschlechtliche Mann vom Feminismus unterdrückt wird, welcher eine jüdische Erfindung sei. (Kracher 2020: 11) Als Reaktion darauf müsse man sich auf eine tradierte Form von Männlichkeit rückbesinnen, die auf der Abwertung von Weiblichkeit aufbaut.

Diese Verschwörungsideologie wird auch die Red Pill-Ideologie genannt (ein Subreddit mit diesem Namen hatte zwischenzeitlich über 130.000 Follower, bevor es gelöscht wurde). Die Benennung ist eine Anlehnung an den Film “Matrix”, indem die Hauptperson sich entscheiden muss eine blaue Pille, die ihm eine Rückkehr in eine heile Traumwelt ermöglicht, oder eine rote Pille zu schlucken, die ihn die Realität hinter der Scheinwelt erkennen lässt. Antifeministische Communities wie die Incels (aber auch den Pick Up Artists oder Men’s Rights Activists) hängen dieser Ideologie an und entwickeln darauf Subverschwörungserzählungen. Diese sind in sich selten schlüssig und miteinander nicht hundertprozentig kompatibel, gemein haben sie jedoch Sexismus, Misogynie und Homophobie, verbunden mit antisemitischen Verschwörungserzählungen und Gewaltphantasien. Häufig wird behauptet, dass wir in einer “Femokratie” leben würden, in der Frauen, über die Kontrolle der Verfügbarkeit von Sexualität, absolute Herrschaft über die Männer ausüben würden. Diese Herrschaftsform sei Resultat des Feminismus.

Mitglieder der Incel-Community vertreten die Auffassung, dass Männer ein Recht auf Sex mit Frauen haben. Lebenswert ist nur ein Leben mit der Ausübung von heterosexuellem Sex. Daher auch der Feminismus als Feindbild. Folgender Punkt grenzt dabei Incels von anderen antifeministischen Gruppierungen ab: Incels sind der Meinung, dass ihnen ihr Recht auf Sex von den angeblich rein oberflächlichen Frauen, aufgrund der eigenen Hässlichkeit, verwehrt wird. Dies führt zu Hass und Abwertung der Frau. In der Incel-Community werden diese häufig abwertend als “Femoid” (also weiblicher Mensch, in Abgrenzung zu “normalen” männlichen Menschen) oder “toilet” bezeichnet. Schuld an der eigenen unfreiwilligen Jungfäulichkeit ist laut Incels: die eigene Hässlichkeit und die Oberflächlichkeit der Frauen. Der Selbsthass ist genauso wie der Hass auf Frauen integraler Bestandteil der Gedanken- und Gefühlswelt der Incels.

Frauen sind in diesem Weltbild boshaft, manipulativ, triebgesteuert, nicht fähig zu rationalem Denken und unmoralisch (dies schrieb u.a. auch Elliot Roger). Während die eigene Jungfräulichkeit als Dilemma angesehen wird, wird die weibliche Jungfräulichkeit überhöht (ähnlich zu fundamentalistisch religiösen Gruppierungen). Wer mit einer Frau zusammen ist, die vorher schon sexuell aktiv war, wurde in der Wahrnehmung der Incels “retroaktiv” betrogen.

Wer mit anderen vor der Heirat Sex hat, ist degeneriert. […] Außerdem sind degenerierte Menschen sehr oberflächlich. Sie würden lieber Kindervergewaltigern, Nazis und Massenmördern vögeln und in eine Beziehung eingehen, als mit einem Mann, der unter 170cm ist oder etwas schlechter aussieht, als der Durchschnitt.Deutsch_Cel auf Reddit

Ein Ableger der Red Pill-Ideologie, die besonders unter den Incels sehr verbreitet ist, ist die Black Pill-Ideologie. Incels, die der Red Pill-Ideologie anhängen glauben, dass sie zwar benachteiligt sind, jedoch durch Selbstoptimierung (Sport und teilweise plastische Chirurgie) in der männlichen Hierachie aufsteigen und eventuell zum Chad werden können. Die schwarze Pille zu schlucken heißt, dass man akzeptiert, dass die Situation hoffnungslos ist. Incels berichten, dass die große Mehrheit der Incels aber wohl davon ausgeht, dass sie niemals eine romantische oder sexuelle Beziehung mit einer Frau haben können. Da eine Existenz ohne heterosexuelle Aktivität nicht lebenswert ist, gibt es in der Black Pill-Ideologie nur zwei Auswege: Den Suizid oder ein neues Herrschaftssystem, in welchem Frauen (wie Ware) Männern staatlich zugeordnet werden. An der Anordnung der männlichen Hierarchie lässt sich zudem ganz klar die Homophobie der Community ablesen, nach deren Ideologie an unterster Stelle Männer stehen, die homosexuellen Sex praktizieren (in der Abbildung abwertend “faggot(s)” genannt).


Die männliche Hierarchie, wie sie von Incel konstruiert wird

Quelle: Heritage/Koller (2020): S. 167.

Die Incel-Community als Radikalisierungskammer:

Viele der Mitglieder geraten in diese Community aufgrund persönlicher Ablehnungserfahrungen. Die narzisstische Kränkung des eigenen Egos schlägt in manchen Fällen zu Hass gegenüber Frauen oder der Gesellschaft allgemein um. Meist online werden in Image- und Messageboards über die Red Pill-Ideologie Menschen mit ähnlichem Weltbild oder vergleichbaren Ablehnungserfahrungen aufmerksam. Darüber finden sie den Zugang zur Incel-Community. Durch eine gegenseitige Bestärkung der eigenen Opferrolle wird diese unaushaltbar. Gewalt erscheint häufig als einziger Ausweg sich dieser Opferrolle zu entledigen.

Frauen und “Chads“ gelten als Ursache für die wahrgenommene Jämmerlichkeit der eigenen Existenz, da sie einem die eigene Sexlosigkeit ständig vor Augen führen. Es gilt sie beim eventuellen Suizid zu bestrafen. Auch daher werden auf den verschiedenen Seiten der Incel-Community Attentäter zelebriert. Sie gelten als Helden. Es wird sich gegenseitig angeheizt es diesen Vorbildern nachzutun.

Die Gefährlichkeit der Incel-Community ergibt sich jedoch nicht nur aus ihrem Gewaltpotenzial, sondern ihrer Anschlussfähigkeit. Leider werden in unserer Gesellschaft immer noch toxische Konstruktionen von Männlichkeit, antifeministische und sexistische Positionen vertreten, die den Übergang zur Red Pill oder Black Pill Ideologie leichter machen.

Finden (vornehmlich) junge Männer darüber den Weg zur Incel-Community, fungieren die Unterforen und Imageboards als Radikalisierungskammern, in der rechte Weltbilder gepflegt und verbreitet werden. Es findet eine Verflechtung von Misogynie, Antifeminismus und Sexismus mit unterschiedlichen rassistischer und fremdenfeindlicher Motiven sowie antisemitischen Verschwörungsideologien statt.

Frauenfeindlichkeit im Allgemeinen wird viel zu häufig übersehen und in der Gefährlichkeit unterschätzt. Die Attentate aus der Incel-Community sind nur beispielhaft für das Radikalisierungs- und Gewaltpotenzial für Misogynie. Aber auch der Attentäter von Christchurch und Andres Breivik haben ihr Weltbild u.a. auf Frauenfeindlichkeit und antifeministischen Einstellungen aufgebaut. Während im nordamerikanischen Raum sich die Forschung schon seit Jahren in unterschiedlichen Ansätzen aus Sicht diverser Disziplinen in Fachzeitschriften auseinandersetzt, erscheint das Phänomen im deutschsprachigen Raum bisher nicht ausreichend beforscht. Wissenschaft, Medien und Zivilgesellschaft sollten sich der Problemlage stärker bewusstwerden.

Wenn Codes und Vokabular der Incel-Community (wie “Chad” oder “Femoid”) sich auch außerhalb selbiger (ob offline oder online) verbreiten, dann sollte man der kommunizierenden Person deutlich machen, welche Ideologie den Begrifflichkeiten anhängt.

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