#1 Ökofaschismus – Was Kulturrassismus mit Umweltschutz zu tun hat



Einen Ökofaschisten, so nannte sich der rechtsextreme Attentäter von Christchurch, der bei einem Anschlag im März 2019 auf zwei Moscheen 51 Menschen ermordete. Auch der Attentäter von El Paso, der im August 2019 20 Menschen der lateinamerikanischen Community tötete, fühlte sich einem Ökofaschismus zugehörig. Aber was meinten sie damit? Ganz sicher nicht das, was rechte Twitter-Trolle für Ökofaschismus halten. Dort ist die Rede von Greta Thunberg, die die Welt in eine linksgrünversiffte Zukunft führen würde, in der niemand mehr Fleisch essen, Autofahren oder sich über Windräder beschweren darf, es wird eine Diktatur der Ökologie beschworen.

Viel eher meint der Attentäter von Christchurch aber folgendes: Menschen mit anderem kulturellem Hintergrund oder Migrationsbiographie stellen eine Gefahr für die Umwelt (nach Verständnis der Ökofaschisten: die weiße ethnische Gemeinschaft und deren Heimat) dar. Es scheint, dass aufgrund der wachsenden Gefahr der Klimakatastrophe die Ökologie eine zunehmende Rolle in faschistischen Verschwörungsideologien spielt. Dort werden sie mit kulturrassistischen Ideologien, wie die des Ethnopluralismus der Identitären Bewegung (IB), verflochten. Der natürliche Lebensraum der Weißen und die Umwelt sei aufgrund einer Überbevölkerung in südlichen Ländern gefährdet.

Warum stellen Menschen mit Migrationshintergrund laut den Ökofaschisten eine Bedrohung dar?

Bei der Beantwortung dieser Frage sind sich die meisten Rechtsextremist*innen in Deutschland einig (und dieser Meinung waren auch die Attentäter von Christchurch und El Paso): Laut ihrer Ansicht bekommen Menschen mit Migrationshintergrund mehr Kinder und würden die Bedrohung der Heimat so verschärfen – sie hegen die Verschwörungserzählung eines “Bevölkerungsaustausches”: Nach dieser Verschwörungserzählung “vermehren” sich Menschen anderer ethnischer Herkunft angeblich schneller, wodurch “Einheimische” verdrängt und schließlich “ausgerottet” würden. Im Fokus haben sie dabei oft Menschen aus dem Nahen Osten oder (Nord-)Afrika, sie meinen damit Muslim*innen. Aufgrund von kulturellen Unterschieden würden diese ja viel mehr Kinder bekommen. Dass diese Aussage nicht nur rassistisch, sondern auch falsch ist, zeigt z.B. die Forschung von Hans Rosling. In seinem Buch “Factfulness” schreibt er davon, dass der Unterschied zwischen den durchschnittlichen Geburtsraten von muslimischen und christlichen Frauen nicht groß ist (3,1 vs. 2,7 Kinder pro Frau). Und den Grund für diesen Unterschied sieht er nicht in Kultur oder Religion, seine Forschung zeigt viel mehr: “With higher income comes fewer babies” (Rosling, 2019). Der Rückgang der Geburtenrate hängt also immer mit dem Anstieg des Einkommens (und somit auch stark mit der Bildung, insbesondere von Frauen) zusammen. Die Forscher*innen von Gapminder, einem Projekt, das Hans Rosling ins Leben gerufen hat, gehen davon aus, dass sich die Geburtenrate überall auf der Welt bis zum Ende dieses Jahrhunderts bei maximal zwei Kindern pro Frau einpendeln wird – und nichts davon hat mit Kultur zu tun.

Die extreme Rechte fürchtet dennoch einen Anstieg der Geburtenrate in arabischen und afrikanischen Ländern, und folglich eine Massenemigration nach Europa. Deshalb fordern sie einen Einwanderungsstopp. Und an ihrer Seite? Umweltschutzvereine, die sich vor einer Überbevölkerung der Welt und den Folgen fürchten. So beispielsweise auch die schweizerische Umweltorganisation Ecopop. Sie forderten in einer Volksinitiative eine Regulation von Zuwanderung und dass die Schweiz in Entwicklungsländern Gelder für Familienplanung, also Verhütung (in einigen Artikeln zum Thema ist auch die Rede von Population Control) investieren soll – zur Sicherung der “Lebensgrundlagen und Lebensqualität” von Schweizer*innen. Menschen in anderen Teilen der Welt sollen also weniger Kinder bekommen, sodass Menschen in westeuropäischen Ländern besser leben können? Aha. Mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass insbesondere die Pro-Kopf-Emission von CO2 auf der Nordhalbkugel höher ist und man hier also eine Täter-Opfer-Umkehr in Bezug auf Ressourcenmangel und Klimaschäden vollführt, sind solche Forderungen sehr kritisch zu sehen, weil sie ideologisch sehr nah an rechtsextremistischen Standpunkten sind. Auch wenn sich z.B. Ecopop von Vorwürfen des Ökofaschismus und Rechtsextremismus distanziert sehen möchte, fällt bei einem Blick auf ihre Homepage auf, dass Ecopop auf der Titelseite, auf der erklärt wird, dass die Organisation den Anstieg der Weltbevölkerung kritisch sieht, Bilder von BIPoc verwendet, um Bevölkerungswachstum und die damit einhergehende Gefahr zu veranschaulichen.

Auch die im März 2020 erschienene Naturdoku “Planet of the Humans” muss sich Ökofaschismus-Vorwürfen stellen, auch hier ist die Rede von Population Control, die notwendig scheint, um die Welt zu retten. Dass diese Forderung natürlich Fragen nach sich zieht, für die rechte Ideologien schon lange vermeintliche Antworten bereithält? Geschenkt.

Die Gefahr, dass Faschisten den Versuch unternehmen könnten, ökologische Bewegungen zu unterwandern, indem sie manche gemeinsamen Ziele in ihre rassistischen Ideologien einbinden, ist sehr real. Je akkuter zudem die Gefahr der Klimakatastrophe erscheint, desto mehr Sorgen sollten wir uns zudem um einzelne Anschläge weiterer Ökofaschisten machen, da mit wachsender Problemlage die Legitimation weiterer Anschläge aus ihrer Sicht zunimmt.

One thought on “#1 Ökofaschismus – Was Kulturrassismus mit Umweltschutz zu tun hat

  1. […] Der Text des Posts zeigt zudem die Bezüge, die die Rechten versuchen zur Natur herzustellen. Extrem viele Posts, die ich untersucht habe, wurden mit den Hashtags #natur oder #wandern versehen. Wer sich dafür interessiert, was die extreme Rechte aus dieser vermeintlichen Naturverbundenheit zieht (obwohl sie die Klimakatastrophe leugnen), kann sich unseren Blogartikel zu Ökofaschismus informieren. […]

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