Was ist Antisemitismus?
Ab und an ist in der Öffentlichkeit zu hören, es gäbe keine allgemein anerkannte Definition von Antisemitismus. Dem ist nicht so. Zwar gibt es wie bei jedem gesellschaftlichen Phänomen gewisse Abweichungen zwischen und innerhalb der wissenschaftlichen Disziplinen, die sich damit auseinandersetzten, jedoch gibt es im Fall des Antisemitismus einen breiten Grundkonsens. (Schwarz-Friesel 2019: 31)
Diese Arbeitsdefinition wurde von der Bundesregierung, vielen Parlamenten in unterschiedlichen Staaten sowie wissenschaftlichen Institutionen übernommen.
Antisemitismus oder Kritik an Israel? – Wie lässt sich das unterscheiden
Es erstaunt wie häufig im deutschsprachigen Diskurs darauf verwiesen wird, dass nicht jede Kritik an Israel antisemitisch ist. Die Frage danach, von welcher Seite gegenteiliges behauptet wird, bleibt bisher unbeantwortet. Wer sich mit der Thematik tiefer befasst oder auch nur aufmerksam die öffentlichen Diskussionen verfolgt, wird bemerkt haben, dass an kaum einem anderen Land so viel Kritik geäußert wird, wie an Israel. (Salzborn 2014: 3) Innerhalb dieser Auseinandersetzung ist es, sowohl aus wissenschaftlicher Perspektive sowie aus politischer Notwendigkeit, wichtig, dass dabei klar unterschieden und benannt wird ob sich jemand antisemitisch äußert. (Schwarz-Friesel/Reinharz 2012)
Wie unterscheidet sich also Kritik an Israel von (antizionistischem) Antisemitismus? Häufig wird der Versuch unternommen es so darzustellen, als würde es sich hier um einen schmalen Grad handeln. Dem gilt es entschieden zu widersprechen. Es handelt sich schließlich um den Unterschied von Kritik und Ressentiments. “Antisemitismus ist das Gegenteil von Kritik, in ihm hebt sich jedes Potenzial auf reflexive Kritikfähigkeit strukturell auf.” (Salzborn 2014: 105)
Während Antisemitismus letztlich nie auf der realen Faktizität beruht, sondern stehts der Grundlage von falschen Behauptungen, Pseudofakten oder Meinungen und Emotionen beruht, basiert tatsächliche (rationale) Kritik auf Fakten, bindet objektive dritte überprüfbare Instanzen ein und ist zur kritischen (wie bereits das Wort besagt) Selbstreflektion fähig. Wenn Kritik an Israel geübt wird, sollte man sich daher die Frage stellen, ob man auch bereit ist das eigene Weltbild kritisch zu hinterfragen und ob man bereit ist, aufgrund von Fakten auch die eigene Meinung zu revidieren. Der antizionistische (auch antiisraelische) Antisemitismus unterscheidet sich hiervon stark.
Antizionistischer Antisemitismus lässt sich recht gut erkennen. Er funktioniert über doppelte Standards (bspw. wenn militärische Einsätze Israels anders gewertet werden, als Gewaltakte palästinensischer Para-Militärs), Delegitimation (Absprache des Existenzrechts Israels), Dämonisierung (Vergleich iraelischer Politik mit der des Nationalsozialismus) der Gleichsetzung vom Staat Israel und dem Judentum und wenn auf Israel oder Israelis mit antisemitischen Bildern, Symbolen oder Floskeln bezuggenommen wird. (vgl. Salzborn 2014: 109f.)
Ideologische Erscheinungsformen des Antisemitismus
Wie bereits angeklungen ist, gibt es unterschiedliche Formen von Antisemitismus. Um deutlich zu machen wie sich diese gestalten und äußern können, haben wir uns an den ideologischen Erscheinungsformen von Pfahl-Traugher (2017) orientiert.
Religiöser Antisemitismus:
Der religiöse Antisemitismus wird teilweise im wissenschaftlichen Diskurs vom rassistisch motivierten Antisemitismus abgegrenzt und als “Antijudaismus” bezeichnet. Religiöser Antisemitismus entsteht aus einem Absolutheitsdenken und Wahrheitsanspruches der eigenen Religion heraus. Zu finden ist diese Form des Antisemitismus vor allem bei fundamentalistischen christlichen Gruppierungen und im Islamismus.
Sozialer Antisemitismus
Der soziale Antisemitismus entstand in Europa bereits im Mittelalter, bedingt durch Berufsverbote und der damit verbundenen Tätigkeit von Jüd*innen im Bankenwesen. Diese Form des Antisemitismus überdauert bis heute sowohl in extrem rechten Gruppierungen in westlichen Ländern, wie auch in islamistischen Strömungen. Dort ist man sich bspw. einig, dass die Unterstützung des israelischen Staates durch die USA auf angebliche jüdische Eliten im amerikanischen Finanzwesen zurückzuführen sei.
Politischer Antisemitismus
Diese Form des Antisemitismus ist eng mit dem sozialen Antisemitismus verknüpft. Juden wären angeblich eine gemeinsame soziale und politische Macht, deren Ziel die Erlangung von Herrschaft in einem bestimmten Land oder gleich der ganzen Welt sei. Diese Form des Antisemitismus findet sich in nahezu allen extrem rechten und islamistischen Verschwörungsideologien wieder.
Sekundärer Antisemitismus
Beim sekundären Antisemitismus wird die Unterstellung gemacht, dass eine gründliche Aufarbeitung und öffentliche Auseinandersetzung mit dem Holocaust nur dazu dienen würde, Wiedergutmachungszahlungen zu erhalten und Deutschland oder die deutsche Bevölkerung zu diffamieren. Diese Ansicht ist eng mit dem sozialen Antisemitimus verstrickt, da auch hier eine angebliche Fixierung auf finanzielle Mittel von Jüd*innen unterstellt wird.
Rassistischer Antisemitismus
Im Konext der Entwicklung des Rassismusses im 19. Jahrhundert entstand der rassistische Antisemitismus. Hier werden aus einem naturalistischem Verständnis heraus alle Jüd*innen als minderwertig und/oder negativ bewertet. Dabei hängt diese Bewertung nicht an einem tatsächlichen oder praktiziertem jüdischen Glauben, sondern an der ethnischen Herkunft. Besonders die neonarzistischen Teile des Rechtsextremismus mit der Vertretung eines Sozialdarwinismus halten an dieser Form des Antisemitismus fest.
Antizionistischer Antisemitismus
Der antizionistische oder auch antiisraelische Antisemitismus wurde bereits weiter oben thematisiert. Es geht um die pauschalisierende, mit weiteren antisemitischen Stereotypen angereicherte, Diffamierung und Dämonisierung des Staates Israel. Dabei wird der Staat Israel häufig mit dem Judentum gleichgesetzt. Häufig wird mit dieser Form versucht, dem Stigma des Antisemitismus zu entkommen, indem man behauptet, man übe lediglich Kritik am Staat Israel (zur Unterscheidung siehe oben).
Amadeu Antonio Stiftung (2020): Zivilgesellschaftliches Lagebild Antisemitismus Deutschland, online unter: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/wp-content/uploads/2020/11/Lagebild_Antisemitismus_2020.pdf.
Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus (2020): Bekämpfung von Antisemitismus, online unter: https://www.antisemitismusbeauftragter.de/Webs/BAS/DE/bekaempfung-antisemitismus/bekaempfung-antisemitismus-node.html.
Bundesamt für Verfassungsschutz (2020): Lagebild Antisemitismus, online unter: https://www.verfassungsschutz.de/embed/broschuere-2020-07-lagebild-antisemitismus.pdf.
Pfahl-Traughber, Armin (2017): Ideologische Erscheinungsformen des Antisemitismus, in: APUZ, 31, S. 4-11.
Salzborn, Samuel (2014): Antisemitismus. Geschichte, Theorie, Empirie, Baden-Baden: Nomos.
Salzborn, Samuel (2018): Globaler Antisemitismus. Eine Spurensuche in den Abgründen
der Moderne, Weinheim: Beltz Juventa.
Monika Schwarz-Friesel/Jehuda Reinharz (2013): Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert, Berlin: De Gruyter.
Schwarz-Friesel, Monika (2019): Judenhass im
Internet. Antisemitismus als kulturelle Konstante und kollektives Gefühl, Berlin/Leipzig:
Hentrich & Hentrich.
Steinke, Ronen (2020): Terror gegen Juden.
Wie antisemitische Gewalt erstarkt und der
Staat versagt, Berlin: Berlin Verlag.